Vergangenheit

...das ist meine Geschichte

 
 
Der folgende Text wird sehr lang und sehr persönlich, wobei ich wirklich private Details, vor allem bestimmte andere Menschen betreffend, auslasse. Und auch, wenn ich sowas normal nicht tu, sag ich trotzdem vorsorglich dazu, dass es unter Umständen stellenweise triggern könnte, also bitte beim Lesen im Hinterkopf behalten...

 

 

Ich wurde 1986 in Wien geboren und wuchs zusammen mit einer jüngeren Schwester auch dort auf. Meine Kindheit war nicht unbedingt gänzlich rosig, vor allem in Bezug auf meine gesamte Schulzeit. In jeder Klasse war ich immer wieder der Außenseiter, hab nie wirklich dazugepasst, nie wirklich Anschluss gefunden. Zudem war ich immer wieder Ziel diversem - wie es heutzutage so schön heißt - Mobbings. Ein Punkt, den ich bis heut noch nicht so ganz versteh: was war es, das mich zu einem ständigen Opfer machte?

Die erste für mich vermutlich wirklich traumatische Erfahrung hatte ich schon früh, mit ca 8 Jahren, als meine Oma starb. Sie war eine der wichtigsten Bezugspersonen für mich, ich verbrachte viel Zeit bei meinen Großeltern im Garten, hab da schwimmen gelernt, sie brachte mir erste Worte Englisch bei. Aber an wirklich viel oder konkretes kann ich mich nicht mehr erinnern. Was ich jedoch noch sehr genau weiß, ist, dass bei ihrer Beerdigung gefragt wurde, ob sie nochmal jemand sehen möchte. Ich wollte, doch meine Mutter meinte, ich soll sie in Erinnerung behalten, wie sie war. Natürlich aus Sicht einer Mutter logisch, ich war schließlich noch ein Kind und eine - ganz direkt gesagt - Leiche ist ja nicht gerade ein altersgerechter Anblick. Sie erzählte mir später auch, dass ich bei der Beerdigung erst richtig "zusammengebrochen" bin (woran ich mich gar nicht mehr erinnere), als der Sarg in's Grab hinabgelassen wurde und dass ich sehr schwer mit dem Tod meiner Oma umgehen konnte, sehr lang gebraucht hab, das alles zu verarbeiten. Nachträglich betrachtet denke ich, es hätte mir vielleicht geholfen, sie nochmal zu sehen, die Endgültigkeit ihres Todes besser zu verstehen und es besser zu verarbeiten. Aus meiner kindlichen Sicht wurde schließlich meine Oma in einem Erdloch begraben...

 

Dieser zog auch später noch einen Rattenschwanz an Problemen nach sich. Vor allem meine schulischen Leistungen sind deutlich gesunken, ich ha b es auch nie wirklich geschafft, das wieder aufzuholen. Das in Kombination mit den ständigen Sticheleien meiner Mitschüler und auch einem sehr unfairen Lehrer, wurde die Schule für mich zu einem regelrechten Hasspunkt. Das hat dazu geführt, dass ich sie nach der Pflichtschulzeit abgebrochen hab. Meine Eltern meldeten mich in einer Fachschule für hauswirtschaftliche Berufe an, was ganz und gar nicht meine Wahl war. Jetzt im Nachhinein natürlich echt blöd gelaufen, da Psychologie ein Teil dieser Schule gewesen wäre, also eine gute Grundlage für ein solches Studium. Das mich das interessiert und ich es auch gern studieren möchte, wusste ich halt damals noch nicht. Die Schulezeit wäre drei Jahre gewesen, ich hab sie nach dem ersten Jahr abgebrochen und eine Lehre begonnen. So häufte sich die Anzahl meiner Fehlentscheidungen...

 

Ich wollte eigentlich eine Lehre im Bereich KFZ-Mechanik machen, das ist jetzt 20 Jahre her, und ich hatte nur die zwei Monate Sommerferien Zeit, eine Stelle zu finden. Was soll ich sagen? Ich hatte das falsche Geschlecht. Gelandet bin ich dann mehr zufällig bei einer Friseurlehre. Anfangs war es noch toll, keine Schule mehr, mein erstes eigenes Geld verdienen, doch da die Firma nicht gerade die Mitarbeiter-freundlichste war und vor allem von Lehrlingen erwartet wurde, zu allem Ja und Amen zu sagen und bloß keine eigenen Gedanken zu haben, wich meine anfängliche Begeisterung sehr schnell. Ich wurde immer unzufriedener, schloss die Lehre zwar mit entsprechender Abschlussprüfung erfolgreich ab, hab den Beruf jedoch nie weiter ausgeübt. Danach ging es beruflich von einer spontanen Gelegenheit zur nächsten, immer "Hauptsache Geld verdienen". Ob ich damit glücklich bin oder nicht, hat im Grunde keinen interessiert - auch mich nicht.


Mein erstes psychologisches Gutachten ließ ich 2005 erstellen, ca ein Jahr nachdem ich von Zuhause ausgezogen bin. Die Diagnose lautete mittelgradige Depression mit latenter Suizidalität. Die Empfehlung: Psychotherapie.

 

Diese hab ich jedoch nicht gemacht. Kurz darauf hab ich zwei kleine Kätzchen, Charly und Stella, zu mir genommen und mir ging es besser. (Ein paar Jahre später kam dann noch Kätzchen Phoebe zu mir, die bei meiner Schwester geboren wurde.) Vielen ist gar nicht bewusst, was für einen positiven Einfluss es haben kann, mit Tieren zu leben. Ich kam mit meinem Leben soweit zurecht, auch mit meinen Launen und Stimmungsschwankungen. Ich hielt eine Therapie nicht für nötig. Ich hab denselben Fehler gemacht, wie so viele andere auch: ich hab es nicht wirklich so ernst genommen. "So ein bisschen Auf und Ab, ist doch nicht schlimm." Man könnte meinen, hinterher ist man immer schlauer, doch ich muss eingestehen, dass es bei mir mit dem schlauer werden noch eine ganze Weile gedauert hat.


Später in meinem Leben gab es noch weitere Todesfälle, mit denen ich mich auseinandersetzen musste. Erst mein Opa väterlicherseits, der nach sehr langer Krankheit starb. Schon als Kind hab ich immer wieder miterlebt, wie er mit dem Rettungswagen abgeholt wurde (die Eltern meines Vaters lebten im selben Haus), weil es ihm wieder schlechter ging. Viele Jahre war es ein Auf und Ab und jedes mal mussten wir uns erneut fragen, ob er wieder nach Hause kommt. Ich kann mich bei ihm nicht mehr erinnern, in welchem Jahr er dann starb, ich war auf jeden Fall schon erwachsen.

 

2009 starb dann mein Opa mütterlicherseits - der Mann meiner in meiner Kindheit verstorbenen Oma - relativ überraschend. Er kämpfte mit einer Krebserkrankung, schien auf einem guten Weg zu sein und sehr rasch kam es zu einer Verschlechterung seines Zustanden. Ich war damals mit meiner Mutter im Spital, als die Geräte abgeschaltet wurde. Ins Zimmer gehen hab ich nicht geschafft, das war ein schrecklicher Anblick, ihn so zu sehen. Vom Gang aus hörte ich aber seinen langen Kampf, bis er schlussendlich seinen letzten Atemzug tat. Ich werde nie verstehen, wie man mit Menschen in ihren letzten Momenten so gefühllos und unmenschlich umgehen kann. Nachdem die Geräte abgeschaltet und der Beatmungsschlauch entfernt wurden, dauerte es über eine Stunde, in der es immer wieder so klang, als würde er ersticken. Tieren wird in so einem Fall mehr Menschlichkeit und Respekt entgegengebracht, als Menschen, indem man sie erlöst, statt sie unnötig leiden zu lassen.

 

Wenige Monate darauf hatte ich einen leichten Autounfall. Nichts Ernstes, nur ein dummer Blechschaden bei geringer Geschwindigkeit, doch dieser war dann wohl der sprichwörtliche Tropfen, der mein emotionales Fass zum Überlaufen brachte. Am nächsten Tag hatte ich meine erste Panikattacke (damals hielt ich es für einen Nervenzusammenbruch). Es war an einem Samstag, ich hatte Dienst von 8h bis 18h, hab zu der Zeit noch im Einzelhandel gearbeitet, fast ausschließlich an der Kassa. So gegen 9h hab ich plötzlich kaum noch Luft bekommen, hyperventiliert, gezittert, geweint, war kaum ansprechbar. Es dauerte ca eine Std, bis ich mich wieder halbwegs gefangen hatte. Die damalige Filialleiterin gab mir irgendwelche homöopathischen Tropfen und lies mich bis Dienstschluss weiterarbeiten. Nach diesem Tag ging es mir immer schlechter. Ich hab wochenlang kaum was gegessen, innerhalb weniger Monate über 30kg abgenommen, hatte öfter auch weitere Panikattacken und hab mich auch selbst verletzt. Ich ging in Krankenstand und lies ein neues psychologisches Gutachten erstellen. Die Diagnose lautete wieder mittelgradige Depression, diesmal mit Anzeichen für Dysthymie. Wieder wurde mir zu einer Psychotherapie geraten und wieder hab ich es nicht gemacht. Ich wurde noch während meines Krankenstandes entlassen, Stress und Druck von Seiten der Arbeit waren weg und mir ging es langsam wieder besser. Und wieder hatte ich das Gefühl, es allein zu schaffen, keine Therapie zu brauchen. Die erste Zeit nahm ich Psychopax – ein angstlösendes und beruhigendes Mittel mit dem Wirkstoff Diazepam – um nachts besser schlafen zu können, dieses konnte ich jedoch auch absetzen, bevor es zu kritisch wurde, da ich eine Zeit lang dazu neigte, es nicht unwesentlich überzudosieren.

 

Wieder vergingen die Jahre. Was sich nach diesem ersten psychischen Absturz bei mir massiv verändert hat, war meine Einstellung zum Thema Arbeiten. Ich war immer diejenige, die selbst krank noch arbeiten ging. Schon während meiner Lehrzeit hab ich es tunlichst vermieden, mich krank zu melden. Ich erinner mich noch, an einem Samstag hat mich mein Vater mit ca 40° Fieber für eine einzige Stunde mit dem Auto in die Firma gebracht, hat auf mich gewartet und mich anschließend wieder nachhause gebracht, und das nur, weil in dieser einen Stunde sonst kein anderer Lehrling da gewesen wäre. Jetzt im Nachhinein greif ich ma selbst am Kopf, wie dumm das eigentlich war. Und nach diesem Absturz beschloss ich für mich, dass kein Job es wert ist, meine Gesundheit oder mein Leben zu riskieren, denn weder das eine noch das andere könnte ich mir später zurückkaufen.

 

Doch alles hat seine Vor- und Nachteile, die Anstellung im Einzelhandel war meine letzte feste Anstellung. Danach habe ich erst mal einiges an Weiterbildungen gemacht, denn ich hatte den Plan, beruflich endlich etwas vernünftiges zu machen und auch mal etwas zu erreichen. Ich bin eigentlich ein sehr ambitionierter Mensch, doch irgendwie sehen Vorstellung und Realität doch oft sehr unterschiedlich aus.


2013 hat sich mein Leben wieder sehr verändert. Im April hab ich eine zu der Zeit geschätzt vierjährige Hündin aus einer bulgarischen Auffangstation adoptiert und im Juli noch einen zweieinhalbjährigen Rüden aus einer ungarischen Tötungsstation. Im August - dass uns (meinem damaligen Partner und mir) nicht fad wird - kamen noch zwei fünf Monate alte Pflegehunde. Die Bande hat mein Leben gewaltig auf den Kopf gestellt. Ich muss zugeben, so sehr ich die beiden Zwerge auch geliebt hab, ich war froh, als sie endlich ihre wundervollen neuen Familien bekamen. Es war schon eine enorme Herausforderung mit vier Hunden. Aber es war auch eine unglaublich bereichernde Erfahrung. Ich hab ungefähr in dem Zeitraum selbst so viel wie möglich aktiv im Tierschutz geholfen, war bei Fahrten nach Ungarn als Fahrer dabei, um Spenden abzugeben und/oder Hunde abzuholen, die ein neues Zuhause erwartet hat.

 

Im April 2015, nach einigen entsprechend fachlichen Aus- und Weiterbildungen, wurde ich offiziell selbstständige Hundetrainerin. Ich war damals ganz stolz darauf, noch vor meinem 30. Geburtstag ein eigenes Unternehmen zu gründen. Das war es auch, was ich immer wollte: selbstständig sein. Leider blieb mein Plan, mir zur Deckung meiner alltäglichen Ausgaben für Rechnungen und Lebensunterhalt einen Teilzeitjob zu suchen, erfolglos. Von der Selbstständigkeit allein konnte ich aber auch noch lang nicht leben. So musste ich mein Gewerbe nach eineinhalb Jahren und mit ca 15.000€ Schulden bei meiner Schwester, die mir immer wieder mit Miete und sonstigen Kosten geholfen hat, im November 2016 ruhend melden.


2017 wurde es dann wirklich kritisch. Das ich mit meiner Selbstständigkeit so - unverblümt ausgedrückt - auf die Fresse gefallen bin, hat mir sehr zu schaffen gemacht. Das war das erste mal, dass ich etwas begonnen und auch tatsächlich durchgezogen hab, nur um dann alles scheitern zu sehen. Ich war mental ziemlich im Keller, entsprechend instabil und auch angreifbar.

 

Ich hab in diesem Sommer jemanden kennengelernt, der mich direkt interessiert hat. Anfangs konnte ich mir nicht vorstellen, dass jemand wie er mich überhaupt wahrnehmen würde, doch das tat er. Es ging sehr schnell, dass ich mich bei ihm überaus wohl gefühlt hab. Er hat Gefühle in mir geweckt, die ich schon lange nicht mehr gespührt hatte. Und obwohl ich mir selbst eingeredet hatte, nichts festes zu wollen, gab es doch einen Teil in mir, der sich mehr gewünscht hätte. Wie sich jedoch sehr bald gezeigt hat, war ich gut genug für ein bisschen Spaß und dann nicht mal mehr eine Antwort wert. Mein Selbstwert war davor schon kaum noch vorhanden, danach sah ich überhaupt keinen Wert mehr bei mir. Ich war völlig davon überzeugt, für nichts weiter gut genug zu sein, als "ein bisschen Spaß", hat mir doch schon mein ganzes bisheriges Leben nie was anderes gezeigt.

Richtig den Boden weggerissen hat es mir dann Ende des Sommers, als ich meinen Kater für immer gehen lassen musste. Er und seine Schwester waren zu dem Zeitpunkt bereits seit 12 Jahren ein wichtiger Teil meines Lebens. Ich hatte auch kaum Zeit mich richtig darauf vorzubereiten, es ging alles so schnell. Kaum hab ich erfahren, dass es nicht gut aussieht und er was ernstes hat, war sein Zustand auch schon so schlecht, dass ich mich dazu entschließen musste, ihn gehen zu lassen. Dazwischen lagen gerade einmal zwei Wochen. Übrig blieb von meinem stattlichen Kater (Maine Coon Mix mit stolzen 10,5kg) nur ein kleines Häufchen Asche.

 

Und gerade in der Zeit, wo ich mich so sehr nach jemandem an meiner Seite gesehnt hatte, wurde ich noch ausgenutzt und allein gelassen. Danach ging es mit mir erst mal nur noch massiv bergab. Ich begann mich eine Zeit lang mit irgendwelchen Männern aus dem Internet spontan zu treffen, hatte immer wieder One-Night-Stands, einfach nur, um für kurze Momente sowas wie Nähe zu spühren, was aber hinterher erst recht dazu führte, dass ich mich immer wertloser und auch irgendwie billig fühlte. Da diese Treffen auch zunehmend unangenehmer wurden - ich begann mich immer mieser behandeln zu lassen, mit dem Glauben, es nicht anders zu verdienen - merkte ich zum Glück selbst recht bald, dass das so nicht weiter gehen kann.

 

Ich rutschte wieder in genau so einen psychischen Abgrund, wie 2009 schon mal, nur noch um einiges tiefer; verletzte mich vermehrt aktiv, hatte wieder teils massive Panikattacken, hab auch wieder stark abgenommen (zwischenzeitlich hatte ich wieder mein früheres Gewicht erreicht) und diemal kamen noch sehr viel konkreter als je zuvor Suizidgedanken dazu. Ich wusste ganz genau, wie ich es machen würde. Psychopax, die ich in der Zeit wieder begann zu nehmen, hab ich erneut ohne zu überlegen überdosiert, zweimal sogar noch hochprozentigen Alkohol nachgetrunken. Nicht, weil ich mir in diesen Momenten tatsächlich was antun wollte, sondern weil ich immer mehr das Gefühl hatte, die Tropfen wirken nicht mehr. In meinem Kopf herrschte so ein Chaos, ich kam einfach nicht zu Ruhe, wollte einfach nur schlafen. Ich war wirklich dabei, mich völlig zu zerstören.


Ich erkannte selbst, dass ich ohne Hilfe nicht mehr lang durchhalten würde. Mein einziger Anker zu der Zeit waren meine Hunde. Meine Verantwortung ihnen gegenüber wog doch noch schwerer als der Wunsch, einfach aufzugeben. Es gab niemanden, der sich hätte um sie kümmern können, wäre mir was passiert. Und mit dem Gedanken, dass sie in einem Tierheim landen, wo sie doch beide ohnehin auch schlimme Geschichten hinter sich haben, hat mich sehr viel mehr belastet, als all meine Probleme. Ich ließ also ein weiteres psychologisches Gutachten erstellen und bekam eine ganz neue Diagnose gestellt: emotional instabile Persönlichkeitsstörung und reaktive Depression. Wieder wurde mir zu einer Therapie geraten und diesmal folgte ich diesem Rat auch.

  

Ich hatte richtig Glück, denn ich hab direkt eine Therapeutin gefunden, die einen freien Platz hatte und mit der die Chemie auch gestimmt hat. Zwei Jahre war ich einmal wöchentlich bei ihr in psychoanalytischer Gesprächstherapie, lang ganz klischeehaft auf dem Sofa, was vor allem die erste Zeit ein sehr komisches Gefühl war. Bis zuletzt wusste ich am Anfang einer Sitzung nie, worüber ich sprechen sollte und am Ende lief mir vor lauter Reden doch die Zeit davon. Die Therapie hat durchaus geholfen, ich hab so vieles dadurch erkannt, Ursachen und Zusammenhänge verstanden. Es hat meine Problem, vor allem in Bezug auf meine Emotionen, meine Kontrollverluste und Stimmungsschwankungen nicht verschwinden lassen, doch allein ein größeres Verständnis für vieles zu haben, hat schon viel geändert. Diese Therapie war kurz vor meinem Umzug von Wien nach Niederösterreich abgeschlossen. Seitdem - also aktuell seit einem halben Jahr - such ich einen neuen für mich passenden Therapieplatz, bin jedoch auf eine Vollfinanzierung seitens der Krankenkasse angewiesen. Das schrenkt meine Möglichkeiten natürlich sehr ein. Zudem würde ich eine Dialektisch-Behaviorale Therapie (oder eine ähnliche Verhaltenstherapie) bevorzugen, denn das scheint gerade bei Borderline am sinnvollsten zu sein. Ein weiteres Kriterium, welches die Sucher erschwert, vor allem, wenn man finanziell keine Alternativen hat.


Es hat sich in den letzten Jahren, seit meiner neuen Diagnose, auch abseits der Therapie unglaublich viel verändert. Es mag befremdlich klingen, aber ich hab mich tatsächlich über meine Diagnose gefreut. Nich darüber, dass ich sie überhaupt hab, sondern darüber, was das für mich bedeutet hat. Nachdem ich mich doch sehr eingehend damit befasst hab, mir diverse Artikel und Erfahrungsberichte angesehen hab und fachliche Beschreibungen, hab begonnen, mich immer mehr zu verstehen. Plötzlich schien mein ganzes Leben immer mehr Sinn zu haben. All meine Entscheidungen, meine Problem mit zwischenmenschlichen Interaktionen und Beziehungen, Probleme in beruflicher und finanzieller Hinsicht, so vieles hab ich in einem ganz neuen Licht gesehen. Auch hier muss ich nochmal betonen: Verständnis allein ändert nichts über Nacht. Auch wenn mir vieles rational betrachtet nun bewusst ist, sind meine Handlungen und Reaktionen doch nach wie vor sehr emotional, sprunghaft und unberechenbar.


Die vermutlich größte Veränderung in meinem bisherigen Leben, war mein Umzug von der Großstadt, in der ich von Geburt an mein ganzes bisheriges Leben verbrachte, auf's Land an den Rand einer kleinen Ortschaft, mit Feldern und einem Wald direkt vor der Haustür. Früher hätte ich es nie für möglich gehalten, je woanders zu leben, als in einer Großstadt, mein Traum war immer eine hübsche Dachgeschoßwohnung mit Terrasse und einem tollen Ausblick über die Stadt. Meine Einstellung dazu hat sich vor einigen Jahren immer mehr geändert. Ich hab mich in der Stadt immer unwohler gefühlt. Die vielen Menschen, der Lärm, das Chaos, das Gedränge, die Hektik - alles wurde mir immer mehr zu viel. Die letzten zwei Jahre in Wien bin ich überall nur noch mit dem Auto hingefahren, weil mich die öffentlichen Verkehrsmittel zunehmend überfordert haben. Mit meinen Hunden ging ich lange Zeit nur nachts weitestgehend entspannt Gassi, so zwischen 2h und 4h, wenn kaum wer unterwegs war. Vor allem wenn ich morgens mit ihnen raus musste, kam es nicht selten vor, dass ich nach eh nur einer kurzen Runde direkt auch eine Panikattacke bekam. In meiner Umgebung waren mehrere Schulen, Bürogebäude, Kindergärten, Lokale, öffentliche Verkehrmittel, und zu gewissen Zeiten war gefühlt für mich die Hölle los.

 

Ich musste lang nach einer geeigneten Wohnung suchen und bin so froh, eine so perfekt passende gefunden zu haben. Sie ist deutlich größer als meine frühere, die Räume sind super angelegt und ich hab sogar einen kleinen Garten hinter dem Haus und einen eigenen Parkplatz vor der Tür. Das schönste ist aber: Ruhe pur! Egal zu welcher Zeit ich raus geh, es sind, wenn überhaupt, nur wenige Menschen unterwegs, es herscht keine Hektik, es ist nicht laut. Mein Leben wurde dadurch so viel angenehmer. Auch meinen Tieren geht es so viel besser, sie sind viel entspannter. Meine Katzen haben sich früher oft gezofft, das passiert kaum noch. Mein Rüde kannte es schon seit vielen Jahren nicht anders, als immer einen Maulkorb zu tragen, wenn wir raus gehen, weil er genauso emotional instabil, leicht reizbar und unberechenbar ist, wie ich. Seit Wochen hatte ich den Maulkorb schon fast nur noch sporadsich mit, seit kurzem lass ich ihn immer öfter daheim. Nicht nur, weil er so viel ruhiger geworden ist und so viel besser mit stressigen Situationen umgehen kann, sondern auch weil ich selbst viel ruhiger bin und viel mehr (Selbst-) Sicherheit hab. Das wiederum wirkt sich positiv auf meine grundlegende Verfassung aus.

 

Das bedeutet jedoch nicht, dass nun alles super und rosig ist. Es kommt trotzdem noch zu depressiven Episoden emotionalen Zusammenbrüchen und Kontrollverlüsten in verschiedenen Bereichen. Ich bin sehr sensibel, vieles geht mir zu schnell zu sehr unter die Haut. Und genau dafür bräuchte ich dringend eine geeignetere Therapieform und finde hoffentlich auch bald einen passenden Platz; um zu lernen, wie ich mein Verhalten und meine Reaktionen besser steuern, meine Emotionen und mich selbst besser kontrollieren kann.