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Ein Brief an dich!


Diese Zeilen schrieb ich im März 2018. Der Mann, an den sie gerichtet sind, hat sie nie gelesen und wird es vermutlich auch nie. Selbst wenn doch, bezweifle ich, dass ihm bewusst wäre, damit gemeint zu sein.

 

Als ich das geschrieben hab, hab ich vieles mein Verhalten und meine Gefühle betreffend noch nicht verstanden. Erst eine ganze Weile später – nachdem ich mich eingehender mit meiner zu der Zeit noch neuen Diagnose Borderline auseinandergesetzt hatte – wurde mir einiges klarer und ich konnte vieles nachvollziehen.

 

Wie ich später verstand, war ich einige Monate zuvor, also in der Zeit, in der ich ihn kennenlernte, emotional bereits ziemlich instabil und durch zuckersüße Worte leicht um den Finger zu wickeln. Seine direkte, aber doch charmante Art hat mich fasziniert. Zudem war es durchaus ein gutes Gefühl, dass ein gutaussehender, sportlicher Typ tatsächlich Interesse an mir hatte. Ich war zu der Zeit noch deutlich übergewichtig und hab mich alles andere als wohl in meiner Haut gefühlt. Da muss ich schon zugeben, dass es ein bisschen das Selbstwertgefühl puscht, jemandem näher zu kommen, der mir unerreichbar schien.

 

Ich hatte – und hab auch heut noch – immer wieder mit einem nagenden Gefühl von Einsamkeit zu kämpfen. Oft auch dann, wenn ich mich in Gesellschaft befinde. Bei ihm war das nicht der Fall, da hatte ich das erste Mal seit sehr langer Zeit wieder ein Gefühl von Nähe.

Wie ich mittlerweile auch über mich verstanden hab, hab ich enorme Verlustängste. Ich häng sehr schnell zu sehr an Menschen, von denen ich das Gefühl hab, dass sie mir guttun, mir Halt geben und das Gefühl vermitteln, ich würde ihnen etwas bedeuten, auch wenn dies vielleicht nur meiner Einbildung entspringt. Dann versuch ich alles, um diesen Menschen in meinem Leben zu halten, entwickle eine gewisse emotionale Abhängigkeit. Das hat deutliche Auswirkungen auf meine Entscheidungen und mein Verhalten; ich verbieg mich völlig, wenn es nötig ist, um es meinem (potenziellen) Partner immer recht zu machen. Mit Zurückweisungen und Ablehnungen kann ich gar nicht umgehen, werd sehr schnell völlig verunsichert und glaub sofort, ich hätte was falsch gemacht oder dass ich ihm egal bin oder es entwickeln sich noch andere negative Ideen in meinem Kopf. Das kann so weit gehen, dass eine gelesene aber nicht sofort beantwortete Nachricht mich schon völlig an meinem Wert zweifeln lässt. Je instabiler ich bin, umso schwerer fällt es mir, rational zu denken und umso emotionaler reagiere ich.

 

Bei ihm kam noch erschwerend hinzu, dass ich mir seine Ablehnung nicht nur eingebildet hatte, sondern dass er mich tatsächlich nur ausgenutzt hat. Ich war grad mal gut genug für ein wenig Spaß, mehr war ich nicht wert. Das hat mir in meiner ohnehin bereits labilen Verfassung dann völlig den Boden weggerissen. Ich verlor gleich in mehreren Bereichen immer mehr die Kontrolle. Ich hab mich einerseits von anderen bewusst ausnutzen lassen, einfach in dem Glauben, es eh nicht wert zu sein, gut behandelt zu werden. Zum anderen hab ich mich aber auch selbst völlig fertig gemacht, mich beim Training völlig verausgabt, viel zu wenig gegessen, kaum geschlafen und generell einfach kaum auf mich und meine Gesundheit geachtet.

 

Zum Glück scheine ich auch durchaus selbstreflektiert zu sein, denn ich hab relativ schnell selbst gemerkt, dass ich dabei war, mich völlig kaputt zu machen und dass ich da allein nicht mehr rauskomm. Ich war echt an einem Tiefpunkt, der mich vor mir selbst erschrecken ließ.

 

Seit dieser besonders dunklen Phase hab ich niemanden mehr näher an mich herangelassen, hab es nicht mehr gewagt jemanden überhaupt nur näher kennenzulernen. Viel zu groß ist die Angst davor, wieder an einen falschen zu geraten, wieder nur ausgenutzt und im Stich gelassen zu werden und dem wieder nicht gewachsen zu sein. Es hat mich so unglaublich viel Kraft gekostet, aus diesem Loch zu kommen und wieder halbwegs stabil zu werden.

 

Ich weiß im Moment gar nicht, wie ich mit diesem Zwiespalt in mir umgehen soll; mir zwar einerseits einen Partner zu wünschen, der nicht nur mit mir spielt, es wirklich ernst meint, mich und meine schwierige Art akzeptiert und zu mir steht, bei dem ich mich sicher und geliebt fühlen kann, doch zugleich das Risiko nicht eingehen zu wollen, wieder verlassen zu werden.

 

Keine Ahnung, was die Zukunft für mich bereithält. Im Moment fällt es mir jedoch noch sehr schwer, ihr hoffnungsvoll entgegenzublicken und mich ihr mit einer positiven Einstellung zu stellen.

Natascha Schlachtner | Kali Recovery