„Du redest dich doch nur auf deine Krankheiten raus…“
Ein Satz, den ich schon des Öfteren von Menschen in meinem Umfeld zu hören bekam. Menschen, die mir eigentlich nahestehen. Menschen, von denen ich eigentlich wünschen würde, dass sie mich unterstützen. Menschen, von denen ich erwarten würde, dass sie zumindest versuchen, mich zu verstehen.
Doch die Realität ist um einiges komplexer, denn wenn schon für psychische Erkrankungen an sich kaum Verständnis in der Gesellschaft zu finden ist, wie kann dann von Angehörigen und anderen sozialen Kontakten erwartet werden, dass sie mit einem Betroffenen entsprechend verständnisvoll umgehen können?
Psychische Erkrankungen sind ein Buch mit sieben Siegeln. Die meisten Menschen haben keinen wirklichen Bezug dazu, wissen kaum etwas bis gar nichts darüber. Und das, was sie zu wissen glauben, beinhaltet häufig Zwangsjacken, Anstalten oder gar Gefängnisse. Das Bild eines psychisch kranken Menschen ist in vielen Köpfen ein völlig verwirrter, geistig gestörter Mensch, der unbedingt weggesperrt werden muss, um sich oder gar anderen nicht zu schaden. Und Ja, natürlich gibt es auch vereinzelt solche Extremfälle. Doch diese sind die Ausnahme und keinesfalls die Regel.
Wer mich sieht, sieht eine normale Frau. Wer mit mir spricht, hört klare, verständliche Sätze, kein Stottern, keine komischen Laute oder Geräusche. Ich beweg mich normal, geh normal, hab keine unkontrollierten Zuckungen oder ähnliches. Und doch: ich bin psychisch krank! Man sieht es Betroffenen in den meisten Fällen eben nicht an.
Ich hab eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung, den meisten eher geläufig als Borderline, in Kombination mit einer Anpassungsstörung (einer reaktiven Depression) und einer Essstörung. Nichts von all dem sieht man mir auf den ersten Blick an.
Was Menschen, die mich schon länger und besser kennen, jedoch meist nicht bewusst ist, ist die Tatsache, wie stark diese Diagnosen mein Verhalten und meine Reaktionen beeinflussen. Vieles, das andere häufig an mir kritisieren, tu ich nicht, weil ich so böse, unzuverlässig, faul oder desinteressiert bin, sondern weil ich es schlicht wirklich nicht besser schaffe. Ich streng mich sehr an, krieg vieles aber einfach (noch) nicht besser hin. Und wenn ich dann versuch anderen genau das zu erklären, dass es eben keine Absicht oder Böswilligkeit von mir ist, bekomm ich gern mal zu hören, ich würde mich ja nur auf die Erkrankung rausreden. Ich muss doch nur mal… Und schon kommen die Kommentare, die man als Betroffener besonders gern hört und die suggerieren, dass es doch eh so einfach wär und dass man sich doch nur mehr anstrengen müsste.
Fakt ist: wenn es so einfach wäre, gäbe es keine psychisch kranken Menschen!
Das Problem liegt da eben tatsächlich vor allem in mangelndem Verständnis und fehlenden Kenntnissen. Wer nicht selbst direkt betroffen ist, setzt sich mit einer solchen Thematik auch nur selten näher auseinander. Selbst Angehörige tun dies viel zu wenig. Dabei würde es so vieles, vor allem den Umgang miteinander, so erleichtern. Wenn ich weiß, womit ich es zu tun hab, kann ich mich auch besser darauf einstellen, kann es besser verarbeiten und meine Reaktionen auf bestimmte Reize besser kontrollieren.
Gerade von Angehörigen und anderen nahestehenden Menschen so oft so missverstanden und oft sogar verurteilt zu werden, führt häufig dazu, dass man sich das alles auch selbst einredet. Bei mir zumindest ist das häufig der Fall, dass ich mir selbst die gleichen Vorwürfe mach; dass ich nix auf die Reihe krieg, doch nur zu faul bin, und nur keine Disziplin hab. Eigentlich weiß ich, dass das Blödsinn ist. Ich weiß, dass ich mich immer wieder anstrenge, alles besser zu machen, nur um wieder zu scheitern. Es belastet mich – und mit Sicherheit auch jeden anderen Betroffenen – sehr, dass ich nicht wie „normale“ Menschen einfach funktionieren kann.
Ich möchte nicht immer die sein, die andere vor den Kopf stößt und enttäuscht. Ich möchte nicht die sein, von der andere denken, man könne sich nicht auf mich verlassen. Ich möchte aber genauso wenig die sein, die es allen anderen immer recht machen muss, auf Kosten meiner eigenen psychischen Stabilität. Es ist frustrierend und auch verletzend gesagt zu bekommen, ich würde mich auf meine Erkrankung nur rausreden, denn genauso wie jeder Krebspatient oder Diabetiker und wie jeder andere kranke Mensch, würde auch ich gern drauf verzichten.
Niemand sucht es sich aus, krank zu werden. Es ist unerheblich, ob physisch oder psychisch – jeder Mensch möchte gesund sein und ein möglichst schönes und sorgenfreies Leben genießen.
Natascha Schlachtner | Kali Recovery