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Der kleine Teufel - ein Slam über meine Essstörung

Die Essstörung ist wie ein kleiner Teufel, der sich in deinem Gehirn eingenistet hat. Du kennst die Metapher von dem Engel und dem Teufel auf deiner Schulter. Ungefähr so nimmst du es wahr. Nur mit dem Unterschied, dass die Essstörung für dich nicht länger der Teufel, sondern der Engel ist. Wahrscheinlich unterscheidet dich das von den meisten Menschen, die einfach nur Diät machen bzw. auch von dir selbst, als du angefangen hast.

Sie hören den Teufel, wenn er ihnen sagt, sie sollen etwas Süßes essen, auch du hast diesen Teufel einmal gehört.

Oder der Engel, der sagt, dass du doch heute bereits genug genascht hast, jetzt ist doch mal Schluss, am Ende gehst du noch auf wie ein Germknödel!

Auch diesen Engel hast du einmal gehört.

Doch jetzt ist das Spiel anders, jetzt haben sie getauscht. Die gute Stimme, der Engel, sagt dir ständig, dass du essen sollst, er sagt dir ständig, dass du zu wenig isst, dass du so nicht weitermachen kannst, er sagt dir, du brauchst das Essen zum Leben, du MUSST essen.

Aber dort ist auch noch der Teufel. Der Teufel, der dir sagt, du kannst es noch zwei Stunden aushalten, dann hast du dir die Kalorien vom Frühstück erspart. Der Teufel, der dir sagt, du darfst nicht essen, du BRAUCHST kein Essen.

Und weil du von dem Engel gewohnt warst, dass er nur Gutes für dich wollte, hast du lange nur auf den Engel gehört und den Teufel nicht beachtet, bis sie still und heimlich die Rollen getauscht haben. Allerdings hast du es viel zu lange nicht mitbekommen, der Teufel war so lange so leise, du hast ausschließlich auf die Stimme des Engels gehört, weshalb er unbemerkt in seinen Gegenspieler einfahren und eben diesen übernehmen konnte. Du hast angefangen diese Stimme, von der du dachtest, sie würde immer zu dem Engel gehören, zu vergöttern und irgendwann war sie kein Engel mehr. Irgendwann wurde sie zu einem Gott. Einem sehr mächtigen Gott, der als Marionettenspieler sein Taschengeld verdient.

Er hat dich in der Hand.

Oder besser sie.

DIE Stimme.

DIE Essstörung.

Und dann beginnst du zu realisieren, dass dein Engel, dein Gott, der maskierte Teufel ist, der zu einem Parasiten wurde und sich in dir und deinen Gedanken, ja in deinem ganzen Handeln, eingenistet hat.

Jetzt hast du aber so lange auf diese Stimme gehört, die dir gesagt hat, dass du keine Süßigkeiten essen sollst und bemerkst, dass eben diese Stimme plötzlich aber das Gegenteil behauptet, dass du schon gar nicht mehr weißt, was du überhaupt noch glauben kannst.

Wahrscheinlich ist das Schlimmste das Bewusstsein für die Störung, gar nicht die Störung selbst. Als du sie bereits hattest, aber noch nicht dahintergekommen warst, dass Engel und Teufel ihre Rollen getauscht haben, da ist es dir schließlich gut gegangen! Ja, klar warst du manchmal schlapp und müde, aber das ist doch jeder mal. Dass du ein Problem hattest, war dir nicht bewusst. Du hast einfach konsequent abgenommen, indem du auf deine Kalorienzufuhr und die Nährwerte geachtet hast, wofür du eben diese auch zählen MUSSTEST.

Du hattest keinen Zwang!

Oder...?

Eigentlich weißt du es selbst nicht so genau.

Mittlerweile hast du fast 25 Kilo abgenommen und weißt eigentlich gar nicht mehr, warum du das überhaupt noch machst. Willst du wirklich noch dünner werden? Bist du nicht eh schon dünn? Natürlich weißt du, dass du abgenommen hast, du trägst schließlich drei Kleidergrößen kleiner, aber im Spiegel hat sich trotzdem nicht viel verändert.

Oder geht es dir vielleicht doch um etwas anderes?

Vielleicht hast du Angst vor dem Zunehmen.

Nein, nicht vielleicht. Du HAST Angst vor dem Zunehmen. Du willst nicht wieder dick sein. Obwohl du dich so unendlich viel mit Ernährung beschäftigt hast und daher ganz genau wüsstest, wie du essen müsstest, um NICHT zuzunehmen. Aber in der Theorie ist eben immer alles ein bisschen anders, auch wenn dieses „anders“ nur in deinem Kopf ist.

Vielleicht spielen ja auch noch andere Komponenten eine Rolle. Da wäre zum Beispiel die Beschäftigung mit dem Kalorienzählen, dem Essen selbst, Ernährung etc., denn wenn man seine Gedanken nur damit füllt, bleibt kein Platz mehr für sonstige Probleme. Was? Du kannst deine Miete nicht zahlen? Rechne doch bitte nochmal schnell aus, wie viel Kalorien du heute oder besser gesagt die restliche Woche noch zu dir nehmen darfst und wie hoch dein Körperfettanteil ist und wenn du schon dabei bist: ein Kilogramm Körperfett sind 7.000 Kalorien, rechne doch bitte gleich noch aus, wie lange du eigentlich ohne Essen überleben würdest.

Außerdem ist da noch dieser interessante Kitzel, etwas, das so natürlich, so menschlich, so lebensnotwendig ist wie essen, einfach nicht zu tun, was scheinbar auf alle Essgestörten irgendwo einen Einfluss hat. Dein Körper benötigt 1.400 Kalorien, alleine nur, damit dein Organismus funktioniert. Sobald du dich über den Tag verteilt etwas bewegt hast, liegt dein Bedarf schon mal bei 1.600 bis 1.800 und auch DAS ist nicht viel!

Du allerdings fährst 500, 600, 800, vielleicht mal 900, Hauptsache unter 1.000 - keine vierstelligen Zahlen bitte, die machen dir Angst!

Wie lange kannst du es aushalten? Der Beginn eines Experiments...

Und dann wäre da noch die Aufmerksamkeit, die du dadurch bekommst. Vielleicht fühlst du dich oft alleine, weil alle, die du kennst, so weit weg wohnen, aber wenn sie sich um dich Sorgen machen, weißt du, dass sie an dich denken und du fühlst dich gleich weniger alleine.

Vieles an der Essstörung dreht sich um Aufmerksamkeit und Erfolg. Auch von deiner Waage bekommst du die notwendige Aufmerksamkeit mit einem Patzen Bestätigung, indem sie dir deinen Erfolg immer wieder aufs Neue anzeigt.

Aufmerksamkeit und Bestätigung bekommst du aber auch vor allem von deinen Mitmenschen, die dir sagen, wie gut du aussiehst, die so konsequent sein wollen wie du, so diszipliniert wie du, so aussehen wollen wie du, so sein wie du. Und dadurch vergisst du dich dann immer mehr, du willst deine allerbeste Seite zeigen, den Engel (oder das, was du denkst, dass der Engel wäre), doch das einzige, was es mit dir macht, ist, dass es dich ZU dieser Essstörung macht. Auch der Erfolg, den du jeden Tag auf der Waage messen kannst, denn langsam fühlt es sich für dich so an, als wäre das sowieso das einzige, worin du gerade wirklich erfolgreich bist. Wie sollst du also jemals wieder damit aufhören?

Du stellst dich der Frage des Aufhörens jedoch nicht. Die Essstörung ist zu laut, sie will nicht gehen, doch sie muss gehen, wenn du aufhörst, also machst du weiter und die Störung bekommt die Überhand. Du funktionierst nur noch nach ihrem Willen. Du bleibst zuhause, weil sie nicht mit Freunden essen gehen will, weil sie sich von ihnen bedroht fühlt. Du isst, was sie will und wann sie will und so oft sie will (was sich ja ziemlich in Grenzen hält). Kurzum, du isst (fast) nicht, weil sie nicht gehen will.

Und eigentlich weißt du sowieso nicht, ob du sie überhaupt gehen lassen kannst und willst.

Du hast Angst vor einem Leben ohne Essstörung. Woher würdest du dann denn wissen, was du essen sollst, tun sollst, sagen sollst?

Die Störung ist so präsent in deinem Leben, sie gehen zu lassen, wäre vergleichbar mit dem Beenden einer Beziehung. Irgendwann wirst du draufkommen, dass toxische Beziehungen jedoch beendet werden MÜSSEN.

Hoffentlich ist es dann nur noch nicht zu spät.

Rabea | Himmelhoch Jauchzend